GOLF TIME 1/2024

KOLUMNE

WENN LÄNGE WEHTUT Golfball Rollback. Alle jammern, dass zu viele Entscheidungsträger zu wenig Ahnung haben. Doch glauben Sie bloß nicht, im Golfsport wäre das anders ...

D

er amerikanische Golfverband USGA und sein europäisches Pendant, der R&A in St. An drews, haben im Dezember 2023

warum das ursprüngliche Konzept eigentlich einst entwickelt wurde. Dabei muss man doch nur verstehen, wie sich Golf aus den individuellen Perspektiven anfühlt, bevor man regulierend eingreift. Fan gen wir ganz oben an: Im Durchschnitt spielt ein mittelmäßiger Tour-Spieler Plätze, die 6.600 Meter lang sind. Seine Drives überwinden im Mittel 274 Meter, was bedeutet, dass diese Gol fer mit dem Abschlag 4,11 Prozent der Gesamt platzlänge schaffen müssen, um sich zumindest eine warme Mahlzeit verdienen zu können. Ein sehr guter Amateur mit Handicap 0 hingegen überwindet mit seinem Driver knapp 250 Meter. Um also zu den gleichen Schlägern wie der Weltklasse-Golfer greifen zu dürfen, müsste dieser Top-Amateur Plätze von exakt 6.000 Metern Länge spielen. Ein männlicher Handicap-15-Spieler, nun, generiert laut Metadaten-Erhebung Drives von ca. 196 Metern. Damit auch dieser das Tourspie ler-Feeling erleben kann, sollte die Gesamtlänge des Platzes 4.780 Meter nicht überschreiten, was beispielsweise in meinem Heimatclub in etwa gleichbedeutend mit dem Damenabschlag ist. Noch beeindruckender wird dieses Zahlenspiel, wenn man es „umdreht“: Also einem Tourspie ler mal vor Augen halten würde, womit sich so ein Handicap-15-Spieler auf einem heutzutage durchschnittlichen 5.800-Meter-Platz herum schlagen muss. Doch leider findet man nur selten Abschlagsmarkierungen bei 8.100 Metern Gesamtlänge. Für Rory McIlroy müssten es übrigens sogar 9.000 Meter sein, der packt nochmals zehn Prozent an Weite drauf. Erst jetzt begreift man vielleicht, wie absurd der Beschluss wirklich ist, dem Durchschnitts golfer einen Ball aufzwingen zu wollen, der wei tere fünf bis zehn Prozent an Längenverlust mit sich bringen soll. Natürlich kann man immer achselzuckend den Rat erteilen, doch einfach den eigenen Stolz herunterzuschlucken und eine andersfarbige Abschlagsmarkierung zu wählen. Ach ja, natürlich nur, solange man kein Kind ist. Hier spielen alle von Grün. Denn was gibt es Lustigeres, als einem in Tränen aufgelösten Grundschüler dabei zuzuschauen, wie er sich an einem 178 Meter langen Par 3 (bergauf) die Milchzähnchen ausbeißt, während ein bräsiger Verbandsfunktionär den Wicht mit Golfpara grafen volltextet? GT

beschlossen, die Flugweiten des Golfballs ab 2028 für Profis – und zwei Jahre später auch für Amateurspieler – zu limitieren. Und ganz egal, aus welchem Blickwinkel man diesen Erlass be trachten möchte, uns Durchschnittshacker hat ten die Golf-Funktionäre bei der Beschneidung des Balles mit Sicherheit nicht auf dem Radar. Vielmehr wollte man Spielern wie Rory McIlroy Einhalt gebieten, die mit ihren mittleren Eisen Distanzen überwinden, von denen unsereins selbst mit dem Driver nur träumen kann. Und, wie so oft, resultiert diese jüngste geplante Entkoppelung des Regelwerks vom real existierenden Geschehen auf der Wiese letztlich aus der fatalen Unfähigkeit der Entscheidungs träger, sich in die Spielergruppen hineinverset zen zu können, denen sie Vorschriften machen. Wie weit verbreitet dieses Phänomen ist, durfte ich dieses Jahr bei der Süddeutschen Meister schaft für Kinder bis zwölf Jahre beobachten. Der Bayerische Golfverband als Ausrichter wählte einen Platz aus, der den Kindern von den grünen „Junior Tees“ rechnerisch gesehen eine durchschnittliche Schlaglänge von 136 Metern abverlangte – gemessen am Durchschnitt aller Schläge, also vom Driver bis zum Wedge. Abgesehen von einer Handvoll Jungen und noch viel weniger Mädchen am obersten Ende der Leistungs- und Altersskala, brachte jedoch kein Kind die körperlichen Voraussetzungen mit, den Ball – egal, mit welchem Schläger – 136 Meter weit zu schlagen. Die Mehrzahl der jüngeren Kinder bis zehn Jahre war vielmehr froh, wenn ihr Ball überhaupt über die 100- Meter-Marke kullerte. Ein perfekter Schlag mit der großen Keule vorausgesetzt ... Dabei spricht eben jener Verband auf seiner Webseite eine geradezu vorbildliche Längen empfehlung für die „Junior Tees“ aus, die sich relativ einfach auf vernünftige 75 bis maximal 90 Meter pro Transportschlag berechnen lässt. Warum man dann die wichtigste Kinder-Meis terschaft auf einer Anlage ausrichtet, die das eigene Konzept in geradezu grotesker Art und Weise konterkariert, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass die Verantwortlichen für Nach wuchsarbeit selbst nicht mehr wissen, wie und

GÖTZ SCHMIEDEHAUSEN Ambitionierter Hobbygolfer mit variablem Handicap und einem ausgeprägten

Gerechtigkeitsfimmel, vor allem, wenn es um den Golfsport geht.

„Die jüngste geplante Änderung des Regelwerks resultiert

aus der fatalen Unfähigkeit der

Entscheidungsträger, sich in die betroffenen Spielergruppen hineinversetzen zu können.“

www.golfresort-weimarerland.de

60 GOLF TIME | 1-2024

www.golftime.de

Made with FlippingBook Learn more on our blog