GOLF TIME 2-2017

„Bereust du es, dass du mit deinem Talent nicht schon als Kind mit Golf angefangen hast?“ fragte ich. „Du könntest auf der Tour spielen und Millionär sein.“ „Und leben müssen wie Phil Mickelson?“, gab Rick lachend zurück. „17 Majors, drei Scheidungen und zwei Bandscheibenvorfälle pro Jahr? Um keinen Preis der Welt. Mann, ich liebe mein Leben!“ Nach 15 Löchern stand fest, dass ich heute Ricks Gastgeber an der Bar sein würde. Nach- dem er mit traumwandlerischer Sicherheit einen Putt zu seinem siebten Birdie des Tages gelocht hatte, gratulierte ich ihm zu seinem Sieg. „Ich habe mich gefragt, warum du bei all deinen außergewöhnlichen Namen ausge- rechnet Rick genannt wirst?“, fragte ich ihn, als wir bei Louise und Thelma auf der Terrasse Platz genommen hatten. Mein Mitspieler war kurz erstaunt über die Frage, dann wurde ihm wohl bewusst, dass über ihn als U.S.-Amateur-Champion ein mir sicher wohlbekannter Wikipedia-Eintrag existieren musste. Doch bevor Rick antworten konnte, ergriff seine Frau Thelma das Wort: „Ich konnte mir seinen richtigen Vornamen bei unserem ersten Date partout nicht merken und habe ihn schließlich mit Rick abgekürzt.“ „Gott sei Dank nennt sie mich nicht Tont wie meine Mama“, lachte Rick. „Aber dein Kindername, den deine Kum- pel heute noch benutzen, kam für mich nun wirklich nicht in Frage“, gab Thelma mit amüsiert-spöttischem Unterton zurück. Dann blickte sie mir direkt in die Augen und sagte: „Hätte ich ihn so meinen Eltern vor- stellen sollen? Hi Mum und Dad, das ist mein neuer Freund, er heißt Tiger Woods.“ GT

„Wie lange warst du in der Army?“, wollte ich nach den ersten beiden Löchern, die er mit einem Par und einem Birdie gegen meine bei- den Bogeys gewonnen hatte, von ihm wissen. „Ich hatte mich nach dem College für zehn Jahre verpflichtet. Ich wollte unbedingt nach Fort Hamilton, wo mein alter Herr gedient hat“, antwortete Rick. „Hat dein Vater nie Golf gespielt?“, wollte ich wissen. „Er hat es gehasst. 1972 lud ihn ein Offi- zier nach Dyker ein, um ihm Golf schmack- haft zu machen. Doch als er dort vorfuhr, erklärte ihm der Mann an der Schranke, dass sein Name auf einer Liste unerwünschter Personen stehen würde. Dad war außer sich vor Wut und fuhr davon. Später stellte sich heraus, dass der Sicherheitsmann wohl von jemandem bestochen worden war, meinen Vater an der Einfahrt zu hindern. Wer und warum dies geschah, wurde nie geklärt. Doch Dad wollte daraufhin mit Golf nichts mehr zu tun haben. Er sagte immer, er sei stolz, dass seine Füße nicht für eine Sekunde den Boden des Golfplatzes berührt hätten.“ ZEITREISEAKTE A145/12 STARTZEIT: 8. September 2016 ZIELORT: Fort Hamilton, New York ZIELZEIT: 23. April 1972 KAPITÄN: (Vertrauliche Information) PASSAGIERE: P. Mickelson, C. DiMarco, E. Els, C. Montgomerie, S. Garcia ANMERKUNG: Ein Passagier (Identität unbekannt) entfernte sich unbemerkt für zwei Stunden von der Gruppe. „Warum hast du erst 2006 mit Golf angefan- gen?“, fragte ich Rick, als wir vom Abschlag der achten Spielbahn zu unseren Bällen schritten. „Keine Ahnung. Ich hatte weder die Gele- genheit noch die Zeit oder das Geld, Golf zu spielen. Trotzdem war Golf schon immer ein Teil von mir. Mein ganzes Leben hatte ich immer das Gefühl gehabt, ich sei irgendwie nicht vollständig. Verstehst du, was ichmeine?“ In dieser Welt gab es wahrscheinlich keinen anderen Menschen, der so genau verstehen konnte wie ich, was Rick damit meinte. „Weder die Army noch die Familie konnten diese namenlose Leere, diese mir unerklär- liche Sehnsucht kompensieren. Irgendwann habe ich angefangen, Golf im Fernsehen zu verfolgen. Obwohl mich die Spieler und all das anfangs gar nicht wirklich interessiert haben, verspürte ich dabei immer ein seltsames Kribbeln, als würde ich unter Strom stehen.“

Ich lauschte gebannt seinen Worten und hatte alles um mich herum ausgeblendet. Mit einer Geste deutete Rick mir an, dass ich meinen Ball spielen sollte. Nachdem ich mit einem Holz 3 einen dem Grün vorgelagerten Bun- ker des Par-5-Loches mittig getroffen hatte, sprach Rick weiter: „Aber erst als Dad 2006 gestorben ist, habe ich mich spontan ins Auto gesetzt und bin zu einer öffentlichen Driving Range gefahren, wo ich erstmals einen Golf- schläger geschwungen habe. Schon nach dem ersten Schwung fühlte ich mich im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig komplettiert.“ Rick schlug ein perfektes Eisen 8. Sein Ball prallte auf dem etwa 150 Meter entfernt lie- genden Grün auf und blieb nur wenige Hand- breit vom Loch zum Eagle liegen. Lachend rief er: „Oh nein, Dad wäre nicht begeistert.“ „Wie schnell wurdest du richtig gut?“, hakte ich nach. „Unglaublich schnell, meinte mein Golf- lehrer. Es war, als würde Golf regelrecht aus mir herausbrechen. Ich spielte schon drei Monate nach dem ersten Schwung regel- mäßig niedrige 80er-Runden. 2008 kam ich bei Handicap null an, heute rangiere ich bei +6, aber ich glaube, da geht noch mehr.“ „Hattest du je Probleme mit dem Rücken oder den Knien“, wollte ich wissen, als er einen besonders dynamischen Schwung voll- führte. Rick schüttelte den Kopf. „Ich habe es nie übertrieben. Als Kind war ich ziemlich kurz- sichtig und habe eine Brille oder Kontakt- linsen getragen. Deshalb kamen American Football oder Basketball nicht infrage. Nicht so wie meine Söhne, die mischen bei allem mit, solange ein Ball rollt.“ „Söhne?“, hakte ich sofort nach. „Wie viele Kinder hast du?“ „Fünf Jungs und nun endlich die ersehnte Tochter“, lachte Rick. „Thelma kann ver- dammt hartnäckig sein. Sie wollte eine Louise, egal wie lange es dauert.“ Ricks Drives reduzierten den über 6.000 Meter langen Platz zu einer Pitch & Putt- Wiese. Wenn ich zu einem Holz 3 oder zu einem Rescue-Schläger greifen musste, um den Ball in die Nähe der Fahne zu schlagen, benötigte er kaum mehr als ein Eisen 9 oder ein Wedge. Nach elf Bahnen, einem Eagle und fünf Birdies (davon drei in Folge), lag ich in unserem Match vier Punkte zurück.

ZEITREISEAKTE A161/23

STARTZEIT: 12. November 2016 ZIELORT: Fort Hamilton, New York ZIELZEIT: 23. April 1972 KAPITÄN: (Vertrauliche Information) PASSAGIERE: Keine ANMERKUNG: Korrekturmission (Zeitreiseakte A145/12). Hauptzeitlinie 12/A1 konnte erfolg- reich wiederhergestellt werden.

ANMERKUNG: Earl Woods war in den Siebzigerjahren in Fort Hamilton als Soldat stationiert. Er verdankt seine Liebe zum Golf einem Army-Freund, der ihn 1972 einlud, den Sport auf der Anlage des Dyker Beach Park and Golf Course auszuprobieren. Dank der Begeisterung seines Vaters begann sein Sohn Eldrick Tont „Tiger“ Woods, der 1975 geboren wurde, im zarten Alter von 18 Monaten mit Golf. In einer Welt ohne Tiger Woods als Golfsuperstar hätte der Gewinn seiner 106 Trophäen sicher zahlreiche Spieler glücklich gemacht. Vor allem die Karrieren von Phil Mickelson (Nummer 1 der Welt, U.S. Open 2002), Chris DiMarco (Masters 2005, Open 2006), Ernie Els (U.S. Open & Open 2000), Sergio Garcia (PGA Championship 1999) und Colin Montgomerie (Open 2005) hätten ohne Tiger Woods wohl einen völlig anderen Verlauf genommen.

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GOLF TIME | 2-2017

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