GOLF TIME 2/2023

COVER | MARCEL SIEM

und eine positive Einstellung zu finden, ist deutlich höher. Man muss hier auf der In sel aber auch lernen, ein wenig geduldiger zu sein. Was mir als Person hilft, weil ich zuvor immer alles erzwingen wollte, aber das geht hier nicht – hier musst du erst mal einen Gang zurückschalten. Die Kinder gehen auf die International School. Es sind zwar jeden Tag 35 Minuten Fahrt dort hin, aber das Schulsystem ist richtig gut. Wahrscheinlich brauchen sie ein Jahr, bis sie fließend Französisch sprechen können. Mit Englisch sind sie durch meine Frau ohnehin aufgewachsen, insofern werden sie dann dreisprachig aufwachsen, was für ihre Zukunft genial ist. Emotionen nun besser im Griff? Wenngleich ein Marcel Siem ohne Emotionen würde wahrscheinlich gar nicht funktionieren oder? Ich denke, dass ich es heute besser hin bekomme, die negativen Emotionen abzu schalten und die positiven Emotionen zu behalten. Um Golfturniere zu gewinnen, musst du ein Stück auch Emotionen haben. Du musst Kampfgeist haben, Mut haben, und darfst keine Angst haben zu verlieren. Diese positiven Emotionen will und muss ich beibehalten. Ich hatte die in den letzten Jahren sogar ein wenig verloren, weil die Mentaltrainer mir dazu geraten haben, im mer nur ruhig zu bleiben. Holger Fischer hat mir gesagt: „Hör bloß auf damit! Lass es raus, reg dich auch auf, aber danach ist Ende. Es muss auch raus, weil du bist kein Mensch, der das in sich so schnell verarbei ten kann.“ Aber ich hatte auch schon ein paar Situa tionen, bei denen sich Kinder regelrecht er schrocken haben, als ich Schläger zerbrach. Einmal etwa am Lärchenhof, das werde ich nie vergessen, das hat mir in der Seele weh getan. Und das war auch der ausschlagge bende Punkt, an dem ich gesagt habe, ich muss mich ein wenig zügeln. Das kann einfach nicht sein, man hat eine Vorbild funktion und vor allem, wenn man selber Kinder hat, muss man sich immer dessen bewusst sein. Ich hatte jetzt in Indien die Situation, dass ich nach meinen Birdies auf der 10 und 11 voll ausgerastet bin, weil ich plötzlich zwei Schläge vorne lag. Da ist der Puls so richtig durch die Decke gegangen und ich brauchte zwei Löcher, um mich wieder zu sammeln. Das war auch der Moment, als ich mir sagte, Junge, versuch‘ die letzten sechs Löcher ruhig zu bleiben, sonst hältst du das nicht durch. Ich werde mir vorneh men, auch zukünftig mehr darauf zu ach ten. Aber wenn die Emotionen kommen, kannst du sie nie ganz kontrollieren. Du warst immer bekannt als ein wenig ein Heißsporn. Inwieweit hast du deine

Viele deiner langjährigen Weggefährten und Freunde haben sich entschieden, den Wechsel zur von Saudi-Arabien finanzierten LIV Golf Tour zu machen. Kannst du sie verstehen und wie stehst du generell zu der Konkurrenz-Liga? Das ist eine ganz schwere Frage. Ich will mich im Grunde auch gar nicht groß damit beschäftigen, wenn ich ehrlich bin. Ich fin de es schade, dass es dieses Format über haupt gibt. Manche Spieler, die jetzt bei LIV Golf sind, vermisse ich überhaupt nicht, aber es gibt schon manche, die ein Verlust für die PGA Tour und DP World Tour darstellen. Ich kann es natürlich ver stehen, wenn einem 30, 40 oder 50 Millio nen Dollar geboten werden und du dann plötzlich ein ganz anderes Leben hast als zuvor. Ich weiß aber gar nicht, ob manche dieser Jungs überhaupt noch heiß sind, al les zu geben. Wobei zum Beispiel Martin Kaymer, das ist jemand, der immer alles gibt. In meinem Kopf ist Martin ohnehin immer noch die Nummer eins der Welt. Was für ein toller Spieler … Ich denke, dass die Jungs wahrscheinlich nicht damit ge rechnet haben, dass dieser Krieg der Tou ren so brutal ausgetragen wird. Da sind manche wohl ein wenig blauäugig reinge gangen. Aber gut, wenn dir jemand 50 oder 100 Millionen Dollar bietet, dann sagt wohl jeder „Ja“. Wer mich kennt, weiß aber, dass ich ein wenig anders gestrickt bin. Für mich sind die Majors das Wichtigste. Ich habe noch nie das Masters gespielt. Ich habe noch nie im Ryder Cup gespielt. Wenn ich solche Dinge einmal erreicht habe und mir jemand danach ein Angebot macht, dann denke ich vielleicht darüber nach (lacht). Der Sieg in Indien gibt dir natürlich eine gewisse Planungssicherheit auf der DP World Tour. Was sind deine nächsten Ziele für diese Saison und auch für die kommenden Jahre? Mit meinem Team hatte ich Anfang des Jahres das Ziel formuliert, ein multipler Sieger auf der Tour zu sein. Also nicht nur ein Sieg, sondern mindestens ein zweiter. Das hatte ich bislang noch nicht geschafft und es gibt auch gar nicht so viele Spieler, denen das gelingt. Klar wäre es toll, viel leicht nächstes Jahr mal das Masters zu spielen, aber das wird durch das neue Weltranglisten-System für uns Europäer nicht einfacher. Da muss man schon richtig gut spielen – oder eben zweimal gewinnen. Und der Ryder Cup wäre natürlich das höchste der Gefühle, alleine bei dem Ge danken daran bekomme ich schon Gänse haut. Das aber als Ziel auszusprechen, von wo ich gerade herkomme, wäre völlig unre alistisch. Ich habe jetzt gerade einmal ein Turnier gewonnen, also immer schön auf dem Teppich bleiben. GT

Markus Scheck traf Marcel Siem zum Exklusiv Talk im Heritage Resort auf Mauritius

Du hast im Winter deinen Wohnsitz hier ins Heritage Resort auf Mauritius verlegt, wo du schon die meisten letzten Winter verbracht hast, und lebst nun hier ganz mit deiner Familie. Wie kam es zu dem Schritt und habt ihr euch schon eingelebt? Die Problematik war die, dass ich nach den südafrikanischen Turnieren im De zember und dem Turnier auf Mauritius im mer hier war und auf meine Familie warten musste. Dann haben wir über die Feiertage zwei Wochen hier verbracht, ich habe dann noch eine Woche Trainingslager ange hängt, bevor ich zu den nächsten Turnieren flog. Und ich wollte irgendwann einfach nicht mehr weg von hier, weil ich mich im Heritage Resort so wohlfühle. Die Leute sind so herzlich hier, nach meinem Sieg ha ben sich alle dermaßen mit mir gefreut und als Botschafter für das Resort wirst du oh nehin noch einmal anders behandelt. In Deutschland hatte ich zwar auch ein Haus im Golfresort, durfte aber mit dem Buggy nicht auf den Golfplatz. Ich hatte endlose Diskussionen, aber es ging einfach nicht. Das hatte mich immer ein wenig ge nervt und war ein Grund, warum ich echt demotiviert war, was das Training anging, auch weil ich es von früher in Florida an ders kannte. Für mich war klar: Wenn ich Golf leben will, dann muss ich irgendwo hin, wo ich um 5 Uhr in der Früh mit dem Buggy zum Gym fahren kann, von dort auf die Range, zwei, drei Stunden Bälle schla gen, dann 18 Löcher auf dem Platz und zu Mittag bin ich wieder bei meiner Familie und habe bis dahin richtig gut gearbei tet. Und wenn die Kinder von der Schule kommen, kann ich ein cooler Dad sein. Und der dritte Punkt war die Erkrankung meiner Frau. Sonne heilt vieles. Laura hat sich auch von Anfang an hier super wohl gefühlt. Nach der Chemotherapie half es ihr, wieder auf die Beine zu kommen, und die Chance, hier wieder gesund zu werden

36 GOLF TIME | 2-2023

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