GOLF TIME 3/2025

DAS GÖTZITAT

DAS LETZTE EINHORN Von einem, der oben ankam und von vielen, die jetzt nicht mehr so genau wissen, wo sie eigentlich hinschauen sollen …

D

as Erreichen eines Grand Slams, den Gewinn aller vier Major-Turniere also, gilt zurecht als das Einhorn im Profigolf. Erst sechs Spieler haben

spiellose Errungenschaft als der „Tiger Slam“ in die Annalen des Golfsport aufgenommen. Nicht weniger groß gedacht, jedoch etwas realistischer wäre ein ernsthafter Angriff von McIlroy auf Jack Nicklaus‘ Major-Rekord. Der Wunderknabe ist erst 35 Jahre alt und ange sichts seiner körperlichen Verfassung hat er sicherlich noch deutlich mehr als zehn Jahre Profigolf auf höchstem Niveau im Tank. Genug Zeit, für 13 weitere Titel? Die erste große Frage, die McIlroy in diesem Zusammenhang beantworten muss, lautet jedoch: „Wird er nun befreiter aufspielen?“ SZENARIO A: Mit der Grand-Slam-Last von den Schultern könnte McIlroy tatsächlich endlich wieder befreit schwingen und vor allem put ten. Nicht mehr der „Typ, der’s nicht schafft“, sondern „der, der es geschafft hat“. Ein Rory, der nur noch für die Freude spielt. Er könnte der Golfwelt eine Renaissance bescheren, in der das Spiel wieder so leicht aussehen könnte wie einst bei Seve Ballesteros – nur mit weniger Brusthaar und mehr Sponsorenverträgen. SZENARIO B: Menschen können sich gerade vor dem Hintergrund außergewöhnlicher Ereignisse auf die seltsamsten Arten verändern. Denn was tun, wenn man alles erreicht hat? Einen Schrank voller Pokale, einen Grand Slam – und plötzlich wird die Driving Range existentialistisch, das Rough metaphysisch und der direkte Weg ins Loch nicht mehr das Ziel, sondern schnöder Mittel zum Zweck. Vielleicht taucht McIlroy ja demnächst in einem indischen Ashram auf, um sich von sämtlichen Lasten des Lebens befreien zu lassen? War der Grand Slam also eher das Game Over oder bringt er die XP-Points, die dem Nordiren ein gehöriges Level-Upgrade bescheren – um es einmal im Videospiel-Kontext auszudrücken. Wir Fans hingegen sollten uns unabhängig vom Fortgang der Saga darin üben, vielleicht wieder etwas Freude aus den kleinen Geschichten im Profigolfsport zu ziehen. Und nicht immer gleich abzuschalten, wenn Tiger mal wieder fehlt und Rory im Mittelfeld eines Turniers vor sich hindümpelt. Es gibt so viele großartige Talente im Golf, die zu oft fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit erstaunliche Heldenstories schreiben. Und einer von ihnen ist vielleicht ein zukünftiger Einhorn-Bändiger … GT

diese Leistung vollbringen können. Seit Jahren war ein mögliches Erreichen dieses Gipfels im Zusammenhang mit Rory McIlroy und dem U.S. Masters das alljährliche Narrativ, der Running Gag, der Cliffhanger im Golf schlechthin. Nun hat der Nordire das Fabeltier gefangen und so mancher Golf-Fan, der vornehmlich der Story line wegen eingeschaltet hatte, wird sich über das gelungene Happy End dieses Blockbusters freuen – nur wer hat danach noch wirklich Lust auf den Abspann? Doch Moment! War Tiger Woods nach seinem vollendeten Grand Slam nicht eigentlich noch viel erstaunlicher als zuvor? Geschenkt, Tiger vollbrachte, wofür McIlroy 14 Jahre brauchte, mal eben innerhalb von zwölf Monaten. Und wiederholte es noch zweimal! Wenn Rory also heute heiß wie Frittenfett ist, glühte Vintage Tiger wie die Sonne selbst. Seit sich Tigers Stern im Sinkflug befindet – und mal ehrlich, das tut er, seit ihn seine da malige Ehefrau Elin 2009 mit dem Golfschläger vertrimmt hatte – wartet die Welt darauf, dass Rory, der „Celtic Tiger“, sein Erbe antritt. All den anderen Kandidaten scheinen entscheidende Eigenschaften zu fehlen. Entweder sind sie zu wenig glamourös (Scottie, Xander, Jordan) oder zu wankelmütig in Leistung und Charak ter (Dustin, Brooks, Bryson, Jon), um ohne zu stolpern in Woods‘ große Fußstapfen zu treten. Einzig Rory stellte sich bislang als der Mann heraus, der genug Charisma besitzt, um eine globale Fanbase zu generieren und den nicht die Aussicht auf absurden Reichtum, sondern vor allem die eigene Legendenbildung konse quent auf Betriebstemperatur gehalten hat. Was könnte jetzt das Sequel zu Rorys histori schem Triumph sein? Gemäß dem derzeit herr schenden Zeitgeist, befeuert von Kapitän Grö ßenwahn im Weißen Haus, muss nun der echte Grand Slam her, also der Gewinn aller Majors in einer Saison. Ein vollkommen irrer Gedan ke, wobei … erinnern wir uns wieder an Tiger Woods, der viermal in Folge gewann. Allerdings schloss er seine 2000er-Serie erst mit dem Mas ters im Folgejahr ab, deshalb wurde diese bei

GÖTZ SCHMIEDEHAUSEN Ambitionierter Hobbygolfer mit variablem Handicap

Das Audiofile vom Autor gelesen auf www.golftime.de

„Gemäß dem derzeit herrschenden Zeit geist, befeuert von Kapitän Größenwahn im Weißen Haus, muss nun der echte Grand Slam her, also der Gewinn aller Majors in einer Saison.“

GOLF TIME | 3-2025

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