GOLF TIME 5/2019

GÖTZ ZITAT

There Goes My Hero...

V or eineinhalb Jahren verbrannte ich mir mit der These „Tiger gewinnt nie wieder ein großes Turnier“ gehörig die Finger. Zwar war Woods‘ Karriere damals nach mensch- lichem Ermessen am Endpunkt angelangt, aber was schert sich diese alles überstrahlende Licht- gestalt schon um normale Maßstäbe? Damals schwor ich mir, nie wieder eine Prog- nose über meinen Lieblingsgolfer zu stellen. Aber irgendwie ist es nun doch dazu gekommen. Und auch diesmal möchte ich Ihnen (m)eine maximal provokante Meinung offerieren, die Sie gerne nach Bedarf in der Luft zerfetzen dürfen: „Tiger Woods hat dem Profigolfsport mit seinem fulmi- nanten Comeback den größtmöglichen Bären- dienst erwiesen.“ (Ta-da!) Mitte der Neunzigerjahre lechzten die ameri- kanischen Golffans nach einem neuen, jungen Helden, der Greg Norman (Australien), Nick Faldo (England) oder Bernhard Langer (Deutsch- land) von der Spitze der Rangliste verdrängen sollte. Und vielleicht gab es keinen idealeren Zeitpunkt als diesen, an dem die Welt so bereit für einen Tiger Woods war. 1996 wurde Bill Clinton als U.S. Präsident wiedergewählt und anders als heute, wehte ein weltoffener und liberaler Geist durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Medien begannen in dieser Zeit erstmals, das World Wide Web zur Verbreitung von News und Stories zu nutzen. Und denen kam dieser 21-jährige dunkelhäutige Golfer gerade recht, der bei sei- nem ersten Profiturnier gleich ein Hole-in-One erzielte und innerhalb seiner ersten drei Monate auf der PGA Tour zwei Siege feiern konnte. Der weltweite Medienhype um Tiger Woods sorgte dafür, dass sich dem Golfsport völlig unerwartet ganz neue Zielgruppen erschlossen. Nach Tigers erstem Masters-Sieg 1997 explo- dierten die Preisgelder auf der PGA Tour und die Sponsoren standen Schlange, um einen Fuß in die Türe zu bekommen. Bis heute profitiert jeder Profigolfer und eine ganze Industrie vom sogenannten „Tiger-Effekt“. Bis zu seinem Karriereknick 2009 galt Tiger deshalb als unantastbares Alpha-Männchen im

Profigolf. Und seit seinem gelungenen Come- back 2018 füllt er diese Position auch wieder vollumfänglich aus. Damals wie heute konzen- triert sich sowohl das Interesse des Turnier- publikums als auch das der Medien nahezu ausschließlich auf ihn – weitestgehend unabhän- gig von seinem sportlichen Abschneiden. So kam es nicht selten vor, dass zehntausende Menschen Woods über 18 Löcher feierten, auch wenn er nur unter ferner liefen ins Ziel kam, während die Führenden kaum beachtet um den Sieg kämpften. Und was wurde in Tigers Abwesenheit nicht alles aufgefahren? Ein „Celtic Tiger“ aus Nordirland namens Rory McIlroy spielte sich in die Herzen der U.S.-Fans. Ein liebenswert-wahnsinniger Freak namens Bubba Watson wurde für seine zwei Masters-Titel hysterisch gefeiert. Die Major- Champions Brooks Koepka und Dustin Johnson halten durch ihr vor Testosteron triefen- des „Höhlenmenschen“-Golf die Gruppe der „Rednecks“ bei der Stange. Die schnuckelige Boygroup um Jordan Spieth, Rickie Fowler und Justin Thomas sorgt für Teenie-Gekreische auf den Fairways und mit Bryson DeChambeau gibt es sogar einen verrückten Professor, der die intellektuellen Golffans abholt. Was wollt ihr denn noch alles? Spätestens seit Tigers Masters-Sieg 2019 ist klar, dass die kollektive Strahlkraft dieser müh- sam etablierten Stars neben einem Tiger Woods mit Siegchancen in etwa so hell leuchtet wie eine flackernde Neonröhre neben einer Supernova. Denn eigentlich wollte in den vergangenen zehn Jahren jeder doch nur eines wissen: Wie schlägt sich dieser oder jener neue Champion gegen einen Tiger Woods in Bestform? Die Antwort auf diese Frage wurde nun gegeben. Und der Schaden ist angerichtet. So beantwortet sich auch die Frage nach Woods legitimem Erben: Es kann keinen geben! Nicht ein- mal im Ansatz. Das hat sein Comeback eindrucks- voll bewiesen, als er (unfreiwillig) eine komplette Golfstar-Generation nachhaltig entwertete. Wenn Tiger irgendwann seine Karriere beendet, wird die Endgültigkeit seines Verschwindens ein nie dage- wesenes Vakuum im Profigolf hinterlassen. GT

GÖTZ SCHMIEDEHAUSEN Ist bekannt für seine gewagten Prognosen über Tiger Woods. Wie viele Freunde er sich wohl dieses Mal machen wird?

„Spätestens seit dem Masters-Sieg 2019 ist klar, dass die kollektive Strahlkraft aller mühsam etablier- ten Stars neben einem Tiger Woods mit Siegchancen in etwa so hell leuchtet wie

eine flackernde Neonröhre neben einer Supernova“

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