GOLF TIME 6/2021
Was passierte in Schottland vor der British Open? Ich dachte auch noch direkt vor dem Major: „Da habe ich gar nichts verloren. Da sind die 143 besten Spielerinnen der Welt auf einem Platz, der als Monster bekannt ist.“ Die Proberunden waren fürchterlich. Mein Bruder, der in dieser Woche an meiner Tasche war, sagte: „Der Platz ist zu gnadenlos, um ihn mit Angst zu spielen, du musst diese Woche voll attackieren und was rauskommt, kommt raus, aber wenigstens weißt du danach... du hast alles versucht ...“ Dann habe ich einen Schlag gefunden, der relativ konstant abrufbar war. Ein flacher Hook. Mit dem ging es ins Turnier. „Leistungssportler zu sein ist der beste Beruf, den es gibt, wenn es gut läuft. Wenn nicht? Eher weniger... Ich will nicht klagen, sondern eher ein Bewusstsein schaffen“ Leonie Harm Für Amateure ist das schwer vorstellbar, wie man mit einem flachen Hook ein Monster bezwingt. Aber es ging. Linkskurse erlauben ja relativ weite Flugkurven, weil es keine Bäume gibt. Also habe ich immer so weit rechts wie mög-
lich gezielt und dann weite Kurven geschla- gen. Es war kein schönes Golf, aber ich hatte mich damit abgefunden. Der Platz verläuft im Uhrzeigersinn, also hatte ich rechts keine großen Gefahren, das hat mir geholfen. Und es hat funktioniert. Wurde es während der Woche besser? Auf der Range ja, da konnte ich den Ball irgendwann wieder etwas kontrollieren. Und am Sonntag waren dann durchaus brauch- bare Schläge dabei, die auch auf anderen Kursen funktioniert hätten. Das klingt nicht nach einem 7. Platz. Ja, es klingt natürlich etwas vermessen. Aber es war tatsächlich so, dass hier sehr ergebnisorientiertes Golf und hie und da Glück entscheidend waren. Platz sieben war tatsächlich sehr überraschend. Wie geht es Ihnen inzwischen? Ich bin noch lange nicht durch das Tal. Inzwischen arbeite ich mit einem Sport- psychologen zusammen. Er soll mir helfen, dass ich in großen Drucksituationen noch performen kann. Denn eigentlich ist es ja mein Ziel, und das Ziel eines jeden Leistungs- sportlers, durch gute Performances möglichst oft in diese Situationen zu kommen. Außerdem soll Golf mein Leben nicht voll in Anspruch nehmen. Ich habe noch einen weiten Weg vor mir, was aber bedeutet, dass noch viel Potenzial in mir steckt. Ich bleibe dran. GT
in Finnland nach Hause geflogen und direkt auf die Range. Zehn, zwölf Trainingsstunden später an diesem Tag war noch nichts wirklich besser, was meine Selbstzweifel nur ver- stärkte. Und ich dachte: So kann ich nächste Woche doch nicht spielen.
Es stand die Evian Championship an, ein Major.
Natürlich sagten alle: „Du kannst doch kein Major auslassen.“ Aber ich dachte: „Mit einem gebrochenen Bein würde ich auch nicht spie- len, nur weil es ein Major ist.“ Tatsächlich war irgendwas „gebrochen“. Aber noch war ich nicht mutig genug, die Notbremse zu ziehen. In Evian musste ich die Proberunde mit einem gefundenen Ball fertig spielen, weil ich meine eigenen 13 Bälle verschossen hatte. 13 Bälle! Wenigstens hatte ich nun den Mut gefunden, das nächste Turnier abzusagen und damit eine Woche mehr Zeit zu haben, bevor es in Schottland weiterging. Aber am Tag vor der Abreise zur Scottish Open, die unmittelbar vor der British Open stattfand, fragte mich ein Freund, der mit mir auf der Range trainierte: „Willst du wirklich spielen? Das sieht nicht gut aus.“ Ich sagte: „Nein, ich will nicht, aber ich kann doch nicht ewig warten, bis ich keine Angst mehr habe.“ Beruf, den es gibt, wenn es gut läuft. Wenn nicht? Eher weniger. Ich will nicht klagen, sondern eher ein Bewusstsein schaffen. Besonders der eigene Erwartungsdruck kann sehr schlimm sein. Golf ist der größte Teil mei- ner Identität. Mit Abstand. Da gibt es gerade auf einmal nichts anderes. Ich hatte mein Stu- dium, dann mein Praktikum bei CureVac 2020. Nun bin ich so im Golf versunken, dass mich ein verlorener Ball umhauen kann. In Süd- afrika im Mai lag ich vor dem Sonntag zwei Schläge hinter der Führenden zurück. Auf meinem vorletzten Loch am Samstag hatte ich einen Vier-Putt. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Es hat mich aufge- fressen, weil Golf in diesem Moment gefühlt alles ist, was man hat. Hier muss ich daran arbeiten, die Scheuklappen abzulegen, weil mich Golf aktuell noch vollkommen verein- nahmt. Meinem Erwartungsdruck kann ich ja nie vollkommen entsprechen. Ich habe für mich festgestellt, um ein Problem langfristig zu lösen, muss ich es als solches erst einmal identifizieren. Die Gefahr ist natürlich, dass es durch Beachtung dann zunächst größer wird, aber langfristig habe ich dann die Chance, es zu lösen, anstatt es zu ignorieren und zu hoffen, dass es einfach wie durch Zauber- hand verschwindet. Woher kam die Angst? Leistungssportler zu sein ist der beste
MAJOR-GLANZ Leonie Harm feiert bei der Women’s Open in Carnoustie mit Platz sieben ihr bestes Ergebnis bei einem Major-Turnier
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GOLF TIME | 6-2021
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