GOLF TIME 7-8/2021

TRAINING | SPORTPHYSIO

DR. CHRISTIAN HAID Biomechaniker, Universitätsklinik Innsbruck

ROBIN HORVATH, Long Drive Champion, Personal Trainer und Ernährungsberater www.drive-coach.de

www.golfherztirol.at

ZUSCHAUEN TUT WEH VISUALISIEREN Nicht alles, was wir bei Pros beobachten, muss für einen selbst auch gut sein. E s tut erstens weh, Golfer zu beobach- ten, die durch ihre Schwungbewegung sichtbar ihren Körper schädigen, und es tut zweiten s weh, Schwungübun- wir derartige Bewegungen bei manchen Spitzengolfern sehen, gesund sind sie nicht. Wir können uns ja gerne Bewegungsmuster abschauen, aber bitte nicht die ungünstigen. Da ändert auch die Tatsache nichts daran, dass eben dieser Spieler ein großes Turnier gewonnen hat. Wir wundern uns zwar, mit welcher Leichtig- keit Spitzenspieler ihr 8er-Eisen 150 Meter weit schlagen, und glauben mit Krafteinsatz nacheifern zu müssen. …und wir machen so ziemlich alles falsch.

kein zu erstrebendes Ziel für den durchschnitt- lichen Amateurgolfer. Zweitens denke ich grundsätzlich nicht, dass Masse so entschei- dend ist. Auch ich war früher einmal schwerer: 93 Kilogramm, um genau zu sein. Mittlerweile liege ich bei rund 79 kg, und das bei größerer relativer Kraft. 2. FUSS-/BEINARBEIT Hier kann sich der Amateurgolfer einige Punkte von Bryson abschauen. Generell sind die Füße im Amateurbereich zu starr am Boden. Golf ist eine dynamische Sportart, dementsprechend sollten sich auch die Füße bewegen. Das ist sogar besser für den Rücken. Die Füße initiieren die Bewegung und geben auch die Bewe- gungsrichtung vor. Denken Sie an Sportarten wie Kugelstoßen, Hammerwerfen und Speer- werfen. Schaut man sich zudem Slowmotion- Aufnahmen von Tourspielern an, so sieht man, dass sich die Füße teilweise sogar vom Boden lösen und die Spieler fast springen. Denken Sie an früher: Da hat so gut wie jeder seinen linken Fuß im Rückschwung angehoben. 3. ELLENBOGEN & GELENKE Bryson möchte seine Schläge – und vor allem seinen Drive – so gut es geht kontrollieren und sperrt dafür absichtlich einige Gelenke. Ersicht- lich ist das an seinen Ellenbogen. Diese hält er bereits in der Ansprechposition überstreckt. Auch seine Handgelenksbewegung kontrolliert er. Für ihn funktioniert das super, bei meinem Konzept sind die Bewegung und die Energie- erzeugung über Arme und Handgelenke aber der Hauptpunkt: Wir haben so kräftige Unter- armmuskeln, nutzen diese aber kaum. Fast jeder Golfer beschwert sich darüber, dass er schlecht über die Hüften und die Wirbelsäule rotiert und nicht beweglich genug ist. Gleichzeitig „sperren“ die meisten Golfer ihre Arme. Dann kann nicht mehr viel gehen. Das Erlernen der richtigen (Zu-)Schlagbewegung ist essenziell. GT

gen zu sehen, die niemals zu einem guten Golfschwung führen werden. Meistens ist beides zu beobachten. ERSTERES tritt auf, wenn im Rahmen der Be- wegung die gesamte Beweglichkeit ausgenützt wird. Vor dem Schwingen wird f leißig ge- dehnt und im Schwung wird dieser gedehnte Gelenkszustand auch noch ausgenützt. Das ist eine höchst gefährliche Situation. Auch wenn

WIR BRAUCHEN KEINEN RECHENSTIFT Wir könnten doch auch Wissen einsetzen. Es ist Physik und deren optimierte Anwendung. Da steckt kein Trick dahinter. Wenn wir die beschleunigenden Mechanismen nicht selbst erkennen, können wir sie uns erklären lassen. Wir hatten Physik in der Schule und sind imstande, Experimente nachzuvoll- ziehen. Es handelt sich bei der Erzeugung von Schlägerkopfgeschwindigkeit um Dreh- momente, und diese Zusammenhänge kann man sehr anschaulich darstellen. Dazu müssen wir keinen Rechenstift hervorholen. Wenn jemand über diesenWinter ernsthaft an seinem Schwung arbeiten möchte, dann muss er sich anderes Wissen aneignen als bisher. Es geht nicht um die „Handhaltung“, um „so kuriere ich ihren Slice“ oder Ähn- liches, es geht darum zu erkennen, welcher Mechanismus den Schlägerkopf schnell macht und welche Bewegungen gut wieder- holbar sind. Das ist ein aufwendiger Zu- gang, und das ist gut so. Er trennt die Spreu vom Weizen und zeigt, wer wirklich an der Perfektionierung der Schwungbewegung interessiert ist. Es ist nicht sehr viel Beweglichkeit und Kraft für einen guten Golfschwung notwen- dig. Das ermöglicht jenen mit echter Liebe zur optimierten Bewegung den Zugang zu sehr gutem Golf auch in hohem Alter. Aus die- sem Satz lässt sich bereits Wichtiges für die Aufwärmübungen vor dem Golfen ableiten: Kein exzessives Dehnen, aber Vorbereiten der Muskulatur auf die zu erwartenden Bewegungen. Nehmen Sie in Kauf, dass anfänglich die zu erwartenden Bewegungen nicht unbedingt mit den gewünschten Bewegungen überein- stimmen, da steckt ein Lernprozess dahinter. Gutes Gelingen! GT

ZWEITERES tritt auf, wenn falscher Kraft- einsatz erfolgt. Dadurch üben wir falsche Bewegungen so lange, bis wir mit Kraft notdürftig spielen. Gutes Golf wird das nie werden. Diese Bewegung automatisieren wir, das macht es später besonders schwer.

POWER-PAKET Bryson DeChambeau beim Driver-Training auf der Range

ENDLICH WEITER SCHLAGEN! WEITENJAGD Robin Horvath, u. a. German Long Drive Champion 2019, gibt Tipps für maximale Längen vom Tee.

N och nie wurde so viel über das Thema Schlägerkopfgeschwindigkeit und Schlag- weite diskutiert wie aktuell. Und das ist auch gut so. Bryson DeChambeau hat neue Maßstäbe gesetzt und wurde belohnt für seine etwas andere Herangehensweise: Vollgas! Es ist erstaunlich, welchen Hype er losgetreten hat. Meiner Meinung nach tut das dem Golfsport gut! Das erste Mal seit Langem, dass beispiels- weise ein Drive in den normalen Sportnach- richten gezeigt wurde... Man muss sich das einfach mal vorstellen: Zwei Wochen vor dem Ryder Cup machte DeChambeau mehrere Vollgaseinheiten und zeigte sich in seinen Youtube-Videos total erschöpft und durchgeschwitzt. Er schaute dabei nur auf den Speed und feierte jede Erhöhung der Schlägerkopfgeschwindigkeit. Je- der Golftrainer würde da wohl den Kopf schüt- teln. So sieht eigentlich keine Vorbereitung auf den Ryder Cup aus. Doch Bryson lieferte ab – und wie! Er spielte seine Längenvorteile eis- kalt aus, gewann mit dem U.S.-Team und flog

einen Tag später direkt weiter zur Longdrive-WM. Und kam dort prompt unter die besten acht – was für ein Typ! Doch nun genug des Lobes. Als Drive-Coach und Long Driver werde ich oft um Rat gefragt: „Wie schlägt man weiter, Robin?“ Darauf gibt es leider keine pauschale Antwort. Natürlich sind gewisse Voraussetzun- gen wie Beweglichkeit, Technik und Kraft not- wendig. Häufig wird versucht, Bryson nachzu- eifern, und das wiederum halte ich für falsch. Seine Herangehensweise funktioniert für ihn individuell gesehen sehr gut. Dennoch gibt es für den normalen Golfer andere und bessere Wege, um die Schlägerkopfgeschwindigkeit zu erhöhen. 1. MEHR MASSE? Den Ernährungsplan von Bryson kann man im Internet nachlesen. Es wird hier von bis zu zehn Kilogramm mehr Muskelmasse gespro- chen. Und insgesamt 20 Kilogramm an Körper- gewichtszunahme. Doch ist Masse wirklich so entscheidend? Ich denke nicht. Erstens ist es

„Auch wenn wir derartige

Bewegungen bei manchen Spitzen- golfern sehen, gesund sind sie nicht...“

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HENRIK STENSON, MARTIN KAYMER Zwischen gut und schlecht unterscheiden lernen. Es gibt gesundheitliche und golftechnische Aspekte – beides muss gleichermaßen berücksichtigt werden

INFO Christian.haid@i-med.ac.at

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