GOLF TIME 4/2022

und die mentale Gemengelage später einzu ordnen: „Niemand kann ermessen, welcher Druck auf Bernhard lag. Ich konnte zwi schendurch nicht mehr atmen, nicht mehr schlucken. Auch wenn ich letztlich von sei nem Putt profitiert habe, kann ich nachvoll ziehen, wie traurig er jetzt sein muss.“ Langer war am Boden zerstört, und Euro pas Team-Kapitän Bernhard Gallacher sah, dass „Bernhard Tränen in den Augen hatte, als er zumMannschaftsbus kam“. Die Karri ere als Ryder-Cup-Spieler konnte Langer je doch fortsetzen – bis 2002. Zwei Jahre später wurde er dann sogar zum Kapitän der euro päischen Auswahl berufen, eine besondere Ehre, weil nie zuvor ein Deutscher für dieses Amt berufen worden war. HISTORISCHER RYDER-CUP-ERFOLG Mit 24 gewonnenen Punkten bei 42 Matches erreichte nur Nick Faldo eine bessere Bilanz als Spieler. Als Kapitän scheiterte der Eng länder jedoch grandios, während Langer mit seinem Team einen Sieg holte, der in die Geschichtsbücher des Golfsports ein ging. Die Europäer unter Langer siegten nämlich nicht nur mit 18,5 zu 9,5 und er reichten damit den höchsten Sieg gegen das US-Team in der fast 100-jährigen Geschichte dieser Veranstaltung, sondern sie holten die sen Erfolg auch noch in der Nähe von De troit in Michigan. Mit anderen Worten, es war ein Auswärtserfolg vor den Augen der fanatischen amerikanischen Fans. Einmalig an der Veranstaltung dürfte es auch bleiben, dass der US-Kapitän Hal Sut ton die zu jener Zeit besten Golfer der Welt als Duo auf den Platz schickte. Doch Tiger Woods und Phil Mickelson, die eigentlich unbezwingbar hätten sein sollen, verloren ihr Match. Beide Profis waren alles andere als Freunde, ihr Verhältnis hatte sich über viele Jahre durch ihre harte Konkurrenzsi tuation definiert, deswegen scheiterte auch der gutgemeinte Versuch Suttons, durch die se Paarung ein Fanal, ein Ausrufezeichen für die Verbundenheit des US-Teams zu setzen. Langer spielte diese Fehleinschätzung in die Hände, am Ende durfte er die golde ne Trophäe, die vielleicht die wichtigste im Golfsport ist, in Bloomfield Hills, ganz in der Nähe des Herzens der amerikanischen Autoindustrie, an sich drücken und küssen. Seine Spieler, zu denen auch der von ihm no minierte Colin Montgomerie gehörte, trugen ihn schließlich auf ihren Schultern vom 18. Grün. Damals jedoch, als Langer jenes Match gegen Hale Irwin nicht zum Erfolg der Euro päer nutzen konnte, wusste er natürlich noch nicht, dass auch dieser Teil seiner Karriere, die Teamwettspiele beim Ryder Cup, ein gro ßer Erfolg werden würden. Ein Rückschlag jedoch, wie er ihn auf Kiawah Island verkraf ten musste, kann eine Karrieren beenden. Krisen auslösen, bei manchem sogar De

pressionen hervorrufen. Langer jedoch pack te damals seine Sachen, stieg in den Flieger nach Deutschland und gewann nur eine Wo che später das von ihm selbst mit veranstalte te German Masters in Stuttgart-Mönsheim – im Stechen am ersten Extra-Loch gegen den Australier Rodger Davis. In der Reportage über dieses Turnier schrieb ich damals: „Er ist ein zäher Bursche, ob wohl man ihm das nicht ansieht. Er ist pe nibel und würde wohl auch beim letzten Putt, vor dem bereits sein Ausscheiden am Cut feststünde, so genau Maß nehmen und sich so viel Zeit lassen, bis den Zuschauern die Haare zu Berge stünden. Er ist hart ge gen sich selbst, sonst hätte er, wie er selbst sagte, auch das Turnier nicht gespielt… Lan ger ist bis zur Selbstaufgabe diszipliniert, für manch einen hat er fast selbstzerstöre rische Züge. Angespornt wird er von einem niemals erlahmenden Ehrgeiz, dazu hat er einen Zwang zur Perfektion. Und Langer hat Eigenschaften, für die ihn viele, vor al lem deutsche Berufskollegen, bewundern, andere kritisieren. Er kann verdrängen, er kann freundlich sein, und ist dabei jederzeit höf lich unverbindlich. Er lässt niemanden so dicht an sich heran, dass man auch nur einen Augenblick in das Innerste des Men schen Bernhard Langer blicken könnte. Und so handelte der Anhausener eben wie der Turmspringer, der gerade eine saubere Bauchlandung vom 10-Meter-Brett hinge legt hat: Er kletterte die Stufen unverdrossen wieder hinauf, weil man ein solches Trauma sofort bewältigen muss, jedem Zweifel, jeder Schwäche, jeder Ermüdung zum Trotz – und legte eine butterweiche Landung hin.“ Wenn man Langer heute trifft, dann vermit telt er nicht nur den Eindruck, sich und an deren noch etwas beweisen zu müssen, son dern er lebt einfach seine Werte, die ihm wichtig sind. Und dazu gehört auch, sich niemals von Problemen unterkriegen zu las sen. Langer hat nie Wert darauf gelegt, durch seine Persönlichkeit Wirkung zu erzielen, andere zu beeindrucken – mit anderen Wor ten – durch kluge Bemerkungen oder eine Form der Präsentation aufzufallen, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Be suche in Talkshows, im ZDF-Sportstudio oder ähnlichen Sendungen kann man an ei ner Hand abzählen. Zweimal war er dann doch in Mainz zu Besuch, 1983 und gleich zu Beginn der 90er-Jahre; beim zweiten Mal kam er nicht allein ins ZDF-Sportstudio. An seiner Seite war mit dem Spanier Severiano Ballesteros eine der schillerndsten Figuren der internationalen Golfwelt. Eine Person, die ihn viele Jahre begleiten sollte, der er im mer wieder begegnete und die ihm den Weg zu großen Triumphen versperrte, ob er nun wollte oder nicht … GT

Zehnmal spielte Bernhard Langer selbst für das europäische Ryder Cup-Team. Als Kapitän war er 2004 mit seinem Team in der Nähe von Detroit in den USA erfolgreich.

ten. Natürlich war es wieder einmal ein Putt, der die Entscheidung herbeiführen sollte. Natürlich wieder am 18. Grün … Vom Sieg gegen Hale Irwin aus den USA hing die Titelverteidigung für die Europä er ab. Langer ließ sich wie so oft viel Zeit für seinen Putt aus knapp zwei Metern. Er untersuchte die Puttlinie akribisch, beriet sich mit seinem Caddie Pete Coleman, war schließlich bereit zum Putt vor einem Pu blikum, das den Atem anhielt – und schob den Ball um Millimeter am Loch rechts vorbei. Bernhard Langer sackte daraufhin in sich zusammen. Und er schrie, was sel ten vorkommt, seinen Schmerz heraus. Es war eine empfindliche Niederlage, eine vor den Augen der Golfwelt. Die Übertragung, die nicht nur ihn, sondern sein Team betraf, sollen 20 Millionen Menschen im Fernsehen verfolgt haben. „Diesen Putt werde ich bis zum Ende mei nes Lebens spielen. Der wird nie aus dem Kopf gehen“, sagte Langer direkt nach der Runde. Die Reportage über den Ryder Cup 1991 in der Zeitschrift „GOLF SPORT“ be gann mit den Worten: „Er war als ehemali ger Masters-Sieger gekommen, als einer der besten Golfer der Welt. Als Bernhard Langer Kiawah Island verließ, war er nur noch der Mann, der DEN Putt verpasste.“ Langers Gegner Hale Irwin versuchte die Situation

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