GOLF TIME 8/2019

TRAINING | SPORTPHYSIO

DR. CHRISTIAN HAID Biomechaniker, Universitätsklinik Innsbruck

DIE WAHRHEIT SCHOCKT SELBSTERKENNTNIS Warum wird beim Golfschwung so wenig Wert gelegt auf Ästhetik? D ie meisten spielen gar nicht Golf! Sie befördern nur den Ball mit unan- sehnlichen Bewegungen Richtung Loch. Selbst bei einem passablen » DER ANSPRUCHSLOSE (ich will ja nur spazieren gehen) » DER KRITISCHE (ja, aber wie soll das gehen) » DER ZURÜCKHALTENDE

VERSTAND EINSETZEN Wenn wir bei gesundheitlichen Problemen, z. B. Halsweh, Linderung suchen, gehen wir zum Klempner, nur weil unser Hals auch Rohrleitungen hat? Vielleicht wird mit diesem Vergleich langsam klar, dass nicht das Nächstbeste die Lösung ist. Wir müssen unseren Verstand einsetzen. Hier spielt Interdisziplinarität eine Rolle. Aber Achtung! Weil bspw. ein Mediziner und ein Techniker miteinander sprechen, ist das noch lange nicht interdisziplinäre Wis- senschaft. Das mag bei EU-Projekten zwar so dargestellt werden, aber ein Miteinander entsteht erst, wenn sich beide Seiten verstehen. Es hat also schon seinen Grund und sei- nen Wert, wenn ein und dieselbe Person Physiker ist, an einer Orthopädie arbeitet und selbst Leistungssportler war. SCHWINGENDE GOLFSCHLÄGER Fangen wir mit dem schwingenden Golf- schläger an. Er dreht sich in den Händen und der Schlägerkopf legt einen viel größeren Weg zurück als die Hände. Wir sprechen daher von einem Pendel. Ein Pendel führt eine Drehbewegung aus, und das bedeutet, dass wir eine Drehbewegung beschleunigen müssen. Drehbewegungen werden mit Drehmomenten beschleunigt, also benötigen wir eine Kraft und einen Wirkabstand. Mit dieser Denkweise ent- steht die Vorstellung, wie wir unseren Körper bewegen müssen. Dabei darf es zu keinen Überlastungen kommen. Besonders gefährdet ist da die Wirbelsäule. Lesen Sie doch einfach in der Zeitschrift SPINE „The Contribution of Anulus Fibers to Torque Resistance“. Dann wird klar, mit welchen Bewegungen Sie den Schläger schwingen müssen. Hier ist dieser Artikel schon wieder zu Ende, einfach kein Platz mehr. Also, diesmal keine Trainingsvorschläge für die Winter- saison, einfach Selbsterkennung und Nach- denken ist gefragt. GT INFO christian.haid@i-med.ac.at

Score nenne ich das nicht Golf. Golf beginnt dort, wo der Golfschläger als Sportgerät effizient genutzt wird und der Schwung schön und harmonisch ist. Es gibt unter- schiedliche Golfertypen. » DER EINGEBILDETE (das betrifft mich nicht, ich spiele gut) » DER KÖNNER (er nützt die Physik und die Muskel- physiologie) » DER BESSERWISSER (was schreibt der denn für einen Blöd- sinn) » DER UNWISSENDE (das verstehe ich nicht) » DER FAULE (ich will am Schwung nichts ändern)

(ich hab nicht das Talent), das ist meistens eine Fehleinchschätzung » DER GEWIEFTE (da ist etwas Wahres dran, ich versuche, einen Weg zu finden!) Wir schwingen nicht, sondern schlagen zu, wir verwenden falschen Krafteinsatz und selbst uneingeweihte Zuschauer belächeln unsere skurril anmutenden Bewegungen. Wir treffen uns nach dem Spiel im eleganten Clubhaus, übergehen geflissentlich unseren unästhetischen Schwung und sprechen im Golfjargon über jeden Schlag. Um ehrlich zu sein, wir machen uns lächerlich. Aber eines ist klar: » Ein guter Golfschwung sieht elegant aus. » Ein guter Golfschwung führt zu niedrigen Scores und tut nicht weh. Wie können so viele Menschen sich für Design und Kunst interessie- ren, formschöne Autos fahren und Häuser gestalten – aber

ihr Schwung sieht so gräss- lich aus. Wir pflegen uns, ziehen uns schick an und schauen beim Golf- schwung einfach lächer- lich aus. Wo bleibt da die Selbstwürde? Was ist zu beachten? Der Golfschwung ist an- gewandte Physik. Also braucht es einen Physi- ker, der die Hintergründe erklärt. Den Schläger be- wegen wir mit unserem Körper, da steckt Muskel- physiologie und Anatomie dahinter. Wo finde ich diese fächerübergreifende Lösung?

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GOLF TIME | 8-2019

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